Berliner Testament

Die Eheleute Maria und Manfred Mustermann haben ein Einfamilienhaus, etwas Barvermögen und zwei Kinder. Sie möchten - wie die meisten Eheleute in dieser Situation - sich gegenseitig absichern. Die Kinder sollen erst dann etwas erhalten, wenn beide Eheleute gestorben sind. Sie errichten handschriftlich ein gemeinschaftliches Testament. Der Ehemann schreibt zunächst und die Ehefrau unterschreibt mit:

"Testament

Wir, die Eheleute Manfred und Maria Mustermann, setzen uns gegenseitig als unsere Alleinerben ein. Nach unser beider Tod sollen unsere Kinder zu gleichen Teilen unsere Erben sein.

Buchholz den, 31.12.2007

Manfred Mustermann
Maria Mustermann"

Ein solches Testament nennt man ein "Berliner Testament". Es ist in § 2269 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Diese Regelung gilt übrigens auch für Eheleute, die keine Kinder haben und andere Personen als Erben des Längstlebenden einsetzen.

Der Text eines solchen Testamentes scheint eindeutig und leicht verständlich zu sein. Dennoch können sich erhebliche Probleme ergeben.

Wir denken einfach 20 Jahre weiter. Herr Manfred Mustermann ist verstorben. Maria Mustermann ist seine Alleinerbin. Weil das Testament mit der Hand geschrieben wurde, benötigt sie einen Erbschein, den sie über einen Notar beantragt und sowohl Notarkosten als auch Gerichtskosten hierfür zahlen muss. Die Kinder bekommen auch eine Abschrift des Testamentes zugestellt, selbst wenn sie noch nicht Erben geworden sind. Jetzt kann schon das erste Problem auftauchen:

Es kann zum Beispiel passieren, dass Frau Maria Mustermann von einem Anwalt eines ihrer Kinder oder vielleicht sogar beider Kinder einen Brief bekommt, worin Pflichtteile geltend gemacht werden. Frau Maria Mustermann holt Rechtsrat ein und erfährt, Pflichtteile kann man nicht beseitigen, auch nicht durch ein "Berliner Testament".

Es kann aber noch schlimmer kommen:

Die Kinder können behaupten, ihre Eltern hätten in Wirklichkeit Vor- und Nacherbschaft gewollt, also eine Regelung, wonach der Längstlebende ihrer Eltern nur auf Zeit, nämlich bis zu seinem Tode, Erbe sein sollte und danach alles den Kindern anfallen sollte. Wenn die Kinder das Testament so auslegen wollen, müssten sie dies allerdings beweisen, denn ohne einen solchen Beweis gilt die Auslegungsregelung des § 2269 BGB. Danach ist Maria Mustermann im Zweifel Vollerbin und kann ohne Weiteres das Haus verkaufen und mit dem Geld machen, was sie will.

Kann Sie aber wirklich in jeder Hinsicht frei verfügen? Leider nicht!

Stellen wir uns vor, eines der beiden Kinder - nennen wir es mal Neidhard Mustermann - hat den Pflichtteil verlangt. Frau Maria Mustermann möchte deshalb das andere Kind, Julia Mustermann, als Alleinerbin einsetzen. Sie holt sich juristischen Rat ein. Das Ergebnis ist für sie überraschend:

Sie erfährt, dass sie das Testament wohl überhaupt nicht mehr ändern kann. Sie hätte ihr Testament nur dann ändern können, wenn sie - innerhalb von 6 Wochen nach dem Tode ihres Ehemannes - die Erbschaft ausgeschlagen hätte. Dann wären die Kinder aber sogleich zusammen mit ihr Erben des Vaters geworden, also auch Miteigentümer des Hauses, was gerade ja nicht gewollt war. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Eheleute Mustermann in Wirklichkeit dem Längstlebenden die Freiheit lassen wollten, das Testament noch zu ändern. Das müsste aber Julia Mustermann nach dem Tod ihrer Mutter dann gemäß § 2270 BGB nachweisen. Ein solcher Beweis ist ganz selten zu erbringen.

Nun kommt Maria Mustermann auf die Idee, stattdessen das Haus ihrer Tochter Julia zu überschreiben und sich lediglich das Wohnungsrecht vorzubehalten. Sie schließt einen entsprechenden Vertrag und verstirbt nach 15 Jahren. Der Sohn Neidhard Mustermann erhält wieder eine Abschrift des Testamentes und erfährt dadurch vom Tod seiner Mutter, mit der er keinen Kontakt mehr hatte. Er sucht einen Anwalt auf. Dieser Anwalt schreibt an Julia Mustermann, sie habe gemäß § 2287 BGB die Hälfte des Grundstücks wieder herauszugeben, denn ihre Mutter habe die Überschreibung ja nur vorgenommen, um das Erbrecht ihres Sohnes Neidhard Mustermann zu vereiteln. Wenn Julia Mustermann nicht beweisen kann, dass ihre Eltern sich völlige Freiheit nach dem Tod des Längstlebenden einräumen wollten, wird sie hier mit erheblichen Ansprüchen ihres Bruders zu rechnen haben - wenn auch möglicherweise nicht in voller Höhe. Eine in anderen erbrechtlichen Bestimmungen bestehende 10-Jahres-Frist gibt es in diesem Zusammenhang nicht.

Festzuhalten ist:

Auch ein einfaches und klares "Berliner Testament" lässt Unklarheiten offen:

- Eine Auslegung kann ergeben, dass der längstlebende Ehegatte in Wirklichkeit nur Vorerbe sein sollte, also nicht einmal das Haus verkaufen konnte.

- Eine Auslegung kann umgekehrt aber auch ergeben, dass der Längstlebende sogar berechtigt sein sollte, seine Kinder zu enterben und völlig andere Personen als Erben einzusetzen.

- Wenn überhaupt nichts aufzuklären ist, hat der Längstlebende kaum Möglichkeiten, das Testament noch zu ändern.

- Pflichtteile lassen sich mit einem "Berliner Testament" ebenso wenig wie mit jedem anderen Testament ausschließen. Die Entziehung von Pflichtteilen ist nur in seltenen Fällen möglich.

Ein "Berliner Testament" kann erhebliche erbschaftsteuerliche Nachteile bringen. Im vorliegenden Fall von Manfred und Maria Mustermann sind solche Nachteile allerdings nicht zu befürchten. Nach dem neuen Erbschaftsteuerrecht hat Maria Mustermann einen Freibetrag von 500.000,00 €, ihre Kinder einen Freibetrag von je 400.000,00 €.

Sollten Manfred und Maria Mustermann ein Vermögen haben, das über die Freibeträge hinausgeht, wäre ein "Berliner Testament" tatsächlich für sich gesehen eine schlechte Lösung:

Hinterlässt Manfred Mustermann beispielsweise 1 Mio. €, müsste Maria Mustermann auch unter Berücksichtigung ihres Versorgungsfreibetrages eine erhebliche Erbschaftsteuer zahlen und nach ihrem Tod ihre Kinder nochmals, weil sie dann den Freibetrag ja jeweils nur einmal geltend machen können. Hier ist es geschickter, andere Lösungen zu finden. Wenn ausreichendes Vermögen vorhanden ist, besteht häufig die Möglichkeit, hinsichtlich eines Teils dieses Vermögens die Kinder sogleich als Erben einzusetzen oder den Längstlebenden der Ehegatten mit Vermächtnissen zugunsten der Kinder zu beschweren. Solche Regelungen sind sorgfältig auszuarbeiten, damit sie auch erbschaftsteuerlich anerkannt werden. Eine Regelung des Inhalts:

"Unsere Kinder erhalten nach dem Tod des Erstversterbenden aus dessen Nachlass ein Vermächtnis in Höhe von je 400.000,00 €, welches bis zum Tod des Längstlebenden von uns gestundet wird"

bringt nicht den erwünschten Erfolg, weil das Finanzamt darin eine Umgehung der steuerlichen Regelungen sieht, die auch im Fall der Vor- und Nacherbschaft den Kindern nur ein Mal den Freibetrag nach dem Tod des Längstlebenden zugesteht.

Eheleute sollten es also nicht wie Manfred und Maria Mustermann machen und ohne Vorbereitung ein Berliner Testament mit der Hand errichten, sondern rechtzeitig juristischen Rat einholen und - zumindest bei größerem Vermögen - auch steuerlichen Rat.

veröffentlicht im Buchholzer Blitz, November 2007 und wegen der Änderung der Erbschaftsteuerfreibeträge geändert im November 2009