Pflichtteile, eine vermeidbare Last?

Vortrag am 11.10.2011 in den Geschäftsräumen der Donner & Reuschel AG
im Channel Tower in Hamburg-Harburg.


Wir befinden uns hier in einem Haus, das ihre Kunden - also viele von Ihnen - bei ihrer Vermögensplanung begleitet, berät und unterstützt. Da unsere Lebenszeit begrenzt ist, sollten auch über unseren Tod hinaus denken, also unsere Vermögensnachfolge planen - sei es durch Testament und Erbvertrag - oder lebzeitige Verfügungen - z.B. Übertragungen mit und ohne Nutzungsvorbehalte, Verkäufe auf Leibrente. Hier berühren sich die Zuständigkeiten des Geldinstitutes und des Juristen, wobei auch der Steuerberater nicht vergessen werden sollte. Vielfach ist hier Zusammenarbeit aller drei Berater angesagt.

Der heutige Vortrag soll Ihnen bei der Planung Ihrer Vermögensnachfolge behilflich sein. Eines der ganz wichtigen Themen dabei sind die Pflichtteile, der Gegenstand meines Vortrages.

Bevor ich mit diesem Thema anfange, noch einiges mehr zu meiner Person:

Ich bin Rechtsanwalt - Fachanwalt für Erbrecht - und Notar a.D.. Ich befasse mich daher sowohl mit der Planung der Vermögensnachfolge als auch mit der Situation, wenn jemand bereits gestorben ist, insbesondere den dann auftretenden Streitigkeiten, sehe also beide Seiten, das “Vorher” und das ”Nachher”. Dabei zeigt sich sehr häufig, wie nicht nur Steuern sondern gerade auch Pflichtteile die Pläne der Verstorbenen und ihrer Hinterbliebenen durchkreuzen können.


Der heutige heutige Vortrag soll Ihnen Hinweise geben, wo die Gefahren durch Pflichtteile lauern und wie man zumindest versuchen kann ihnen zu begegnen.

Zunächst ist zu erklären: Was sind Pflichtteile?


Pflichtteile sind Zahlungsansprüche von Ehegatten und Kindern - ersatzweise Kindeskindern - hierzu ersatzweise Eltern - eines Verstorbenen, die erbrechtlich "zu kurz gekommen" sind. Der Gesetzgeber wollte im Grundsatz, dass diese geschützten Personen wenigstens die Hälfte von demjenigen erhalten, was ihnen bei gesetzlicher Erbfolge zufallen würde. Wer die gesetzlichen Bestimmungen dazu lesen will, findet sie unter anderem unter
www.bmj.de -> Gesetze im Internet -> Gesetze/Verordnungen -> BGB ->
§§ 1371, 1923 ff (für die Erbquoten) und §§ 2303 (für das Pflichtteilsrecht).
Wenn der Nachlass nicht ausreicht, kommen auch Ansprüche gegen Empfänger von Schenkungen in Betracht. Pflichtteilsberechtigte sind im deutschen Erbrecht nicht Miterben, können also nicht mitbestimmen sondern nur Zahlung verlangen.

Ich erläutere diesem Besten mit Beispielen:

Beispiel 1


Hans hat seine Lebensgefährtin Luise als Alleinerbin eingesetzt und seinen Sohn Siegfried aus geschiedener Ehe enterbt. Siegfried macht nach seinem Tod Pflichtteile geltend:
Hans hat ein Vermögen von 1 Million € hinterlassen, darunter ein Eigenheim.
Bei gesetzlicher Erbfolge wäre Siegfried Alleinerbe. Sein Pflichtteil beträgt die Hälfte davon, also 0,5 Million €.

Sollte das Vermögen nicht verwertbar sein, braucht Luise aber das Eigenheim wahrscheinlich nicht zu verkaufen, sondern kann gemäß § 2311a BGB Stundung zu angemessenen Bedingungen verlangen, weil sonst eine „unbillige Härte“ vorläge. Das ist natürlich ein "Gummiparagraph", also keine hundertprozentig verlässliche Regelung!

Anzumerken ist noch, dass Luise als Lebensgefährtin nur einen Freibetrag von 20.000 € hat, also eine hohe Erbschaftssteuer (30 %) zahlen muss.

Beispiel 2


Hans hat Luise, seiner Lebensgefährtin, gut 2 Jahre vor seinem Tod Wertpapiere in Höhe von 0,5 Mio € geschenkt und in seinem Nachlass nur noch 0,5 Millionen, darunter das Einfamilienhaus. Hans verstirbt am 01.11.2011.
Der Pflichtteilsanspruch seines Sohnes ist wegen des geringeren Nachlasses die Hälfte von nur noch 0,5 Mio €, also 0,25 Mio €.

Daneben hat er einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Aufgrund der seit dem 1.1.2010 geltenden Regelung werden dabei aufgrund der so genannten "Abschmelzung" für jedes Jahr 10 %, hier also 20 % abgezogen, so dass nur noch 0,4 Million € maßgeblich bleiben. Der Ergänzungsanspruch beträgt also nur 0,2 Mio €. Insgesamt erhält der Sohn in diesem Fall etwas weniger, nämlich nur 0,45 Mio €. Hier zeigt sich also schon, dass man Pflichtteile dadurch herabsetzen kann, dass man schon unter Lebenden etwas überträgt.
Darauf komme ich noch zurück

Beispiel 3
Variante zu Beispiel 1.


Hans hat Luise sind verheiratet und haben keinen Gütertrennungsvertrag geschlossen. Hans hat Luise als seine Alleinerbin eingesetzt. Unter Lebenden hatte er ihr noch nichts zugewandt. Hier wäre Siegfried ohne das Testament nur zur Hälfte Miterbe geworden.
Bei einem Vermögen von 1 Million € beträgt der Pflichtteil daher nur 1/4 Mio €.

Anmerkung:
Außerdem braucht Luise - wenn überhaupt - nur eine geringere Erbschaftsteuer zu zahlen,
denn ihr Freibetrag beträgt jetzt mindesten 0,5 Mio € statt 20.000 €!

Beispiel 4
Variante zu Beispiel 2 und 3


Hans und Luise sind auch verheiratet und haben keinen Gütertrennungsvertrag geschlossen (wie gesagt - günstig wegen der Erbquote von nur noch ½ und damit auch wegen der Pflichtteilsquote von nur noch 1/4). Hans hat Luise gut zwei Jahre vor seinem Tod noch Wertpapiere im Wert von 0,5 Millionen € geschenkt. Sein Nachlass beträgt deshalb nur noch 0,5 Million €.

Hier gibt es keine Abschmelzung, weil aufgrund der Ehe die Frist nicht lief, so dass der Sohn Siegfried als Pflichtteil und Pflichtteilsergänzung jeweils ein Viertel von einer halben Million Euro verlangen kann, also insgesamt nur 0,25 Mio €. Es mag etwas eigenartig anmuten, dass im Zusammenhang mit der Schenkung die Lebensgefährtin besser behandelt wird als die Ehefrau. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelung dennoch akzeptiert.

Beispiel 5,
Variante zu Beispiel 4.


Hans und Luise sind verheiratet. Hans hat Luise zu Lebzeiten Wertpapiere im Wert von einer halben Million € überschrieben und hinterlässt der einen Nachlass von ebenfalls einer halben Million €.
Hans hatte jedoch bereits im Jahr 1985 seinem Sohn Siegfried 200.000 DM geschenkt, ohne dabei daran zu denken, eine Anrechnung auf den Pflichtteil zu anzuordnen - nach heutigem Geldwert ca. 200.000 €.

Hier gibt es zwar durchaus einen Pflichtteil, auf den auch nichts anzurechnen ist, weil es nicht rechtzeitig bestimmt wurde. Eine nachträgliche Änderung durch Testament wurde zur vom Gesetzgeber erwogen, dann jedoch fallen gelassen.

Der Pflichtteil beträgt - wie oben schon erläutert - 1/4 von 1/2 Mio €, also 125.000,00 €.
Es gibt aber keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch, weil Siegfried sich in jedem Fall die zu Lebzeiten erhaltenen 200.000 DM zum heutigen Geldwert, also in Höhe von ca. 200.000 € anrechnen lassen muss. Für dieses anzurechnende Geschenk gibt es auch keine Zehnjahresfrist und keine Abschmelzung. Die Rechnung lautet:

Schenkung: 0,5 Mio €
zuzüglich Eigengeschenk an Siegfried:0,2 Mio €
Summe: 0,7 Mio €

Pflichtteilsquote: ¼ von 0,7 Mio = 0,175 Mio €

Anzurechnen: (-) 0,2 Mio €
Es verbleibt kein Pflichtteilsergänzungsanspruch.

Hans hat durch die Überschreibung der Wertpapiere von 0,5 Million € erreicht, dass Siegfried nur einen Pflichtteilsanspruch i.H.v.125.000 € hat und keinerlei Pflichtteilsergänzungsanprüche. Luise muss also 125.000 € weniger an Siegfried zahlen, als sie es müsste, wenn Sie die Wertpapiere erst im Erbwege erworben hätte.

Auch hier zeigt sich, dass es geradezu Wunder wirken kann, die Pflichtteilsansprüche durch lebzeitige Zuwendungen erheblich zu reduzieren, wenn das pflichtteilsberechtigte Kind schon unter Lebenden etwas erhalten hat.

Beispiel 6


Vielfach ist unbekannt, dass auch Eltern Pflichtteilsansprüche haben können.

Hans’ Sohn Siegfried ist vorverstorben und Hans hat keine Kinder mehr, aber seine beiden Eltern leben noch und zwar in einem Pflegeheim. Hans hat Luise - wie oben angenommen - geheiratet und auch zum Glück testamentarisch zu seiner Alleinerbin eingesetzt. Als Hans verstorben ist, bekommt Luise Post vom Sozialamt. Man habe die Pflichtteilsansprüche der Eltern auf sich übergeleitet, um die Sozialleistungen, die zur Pflege wegen nicht ausreichender Rente erbracht werden, jeweils monatlich erstattet zu bekommen. Leider hat das Sozialamt Recht. Auch Eltern haben Pflichtteile. Der gesetzliche Erbteil wäre, wenn keine Gütertrennung besteht, je 1/8, der Pflichtteil somit je 1/16, z.B. bei einem Vermögen von 1 Million € je 62.500 €.

Luise braucht - wie oben gesagt - voraussichtlich nicht die ererbte Villa zu verkaufen und kann aufgrund der Härteklausel erforderlichenfalls Stundung zu angemessenen Bedingungen verlangen. Außerdem schützt sie auch noch das Sozialrecht hinsichtlich ihres Eigenheims.

Soweit sollten die Beispiele zu den Grundsätzen des Pflichtteilsrechts erst einmal ausreichen.

Nach dieser zugegebenermaßen schweren Kost möchte ich vor dem Einstieg in den Kern meines Vortrages, nämlich die Vermeidung oder Minimierung von Pflichtteilen mich an Sie, mein Publikum, wenden mit der Frage, ob Sie Pflichtteile gut finden oder nicht - in der Hoffnung, nicht allzuviel Bejahung zu bekommen, sonst hätte ich möglicherweise ein falsches Thema gewählt. Anlass für diese “Umfrage” ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2005, Beschluß vom 19.04.2005 - 1 BvR 1644/00 u. 1 BvR 188/03 wonach ein Mindestmaß von Pflichtteilen sogar durch das Grundgesetz (Artikel 14) geboten ist. Ich finde es interessant zu erfahren, ob das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung, die in der juristischen Literatur vielfach kritisiert worden ist, sich nicht vielleicht ein bisschen sehr weit von der Meinung der Bevölkerung entfernt hat.

Argumente für Pflichtteile:

  • Moralische Verpflichtung gegenüber der FAMILIE
  • Schutz vor unfairer Beeinflussung durch Dritte
Argumente gegen Pflichtteile
  • Freiheit, Selbstbestimmung
  • Schutz der Witwe, Sicherung ihrer Versorgung
  • Schutz der Kinder vor Sozialregressen hinsichtlich des längstlebenden Elternteils
Ich beende jetzt die Diskussion und komme damit zum Kern meines Vortrags:

Was können wir tun, um Pflichtteile zu vermeiden oder zumindest auf ein für uns akzeptables Maß zu minimieren?

1. Pflichtteilsverzichtsvertrag


Der sicherste Weg ist der Abschluß eines - notariell zu beurkundenden - Pflichtteilsverzichtsvertrags.

Beispiel 7
Hans und seine Ehefrau Luise suchen gemeinsam mit ihrem Sohn Siegfried nach einer fairen Lösung.

z.B. Siegfried bekommt Wertpapiere übertragen oder eine Grundschuld auf dem Eigenheimgrundstück eingetragen und verzichtet im Gegenzuge auf Pflichtteile.

Bei solchen Verhandlungen ist häufig der Rat der Fachleute angebracht, wie eingangs schon angedeutet,

für die richtige Auswahl der Wertpapiere: Der Vermögensberater,

für die steuerlichen und rechtlichen Folgen der Rechtsanwalt bzw. Notar und der Steuerberater.

Wenn Einigungsbedarf besteht, kann es sich empfehlen, zunächst einen Mediator hinzuzuziehen. Dessen Aufgabe wäre es, durch geschickte Moderation den Parteien ihre Wünsche, Vorstellungen und Interessen bewußt werden zu lassen und sie dadurch selbst zu veranlassen, eine sachgerechte Lösung zu finden.

Beispiel 8


Das nächste Beispiel ist anders gelagert. Ich denke mir jetzt mal andere Namen aus:
Paul ist ein erfolgreicher Unternehmer. Sein Sohn Ludwig soll das Unternehmen einmal erhalten. Seine Ehefrau Xantippe soll das Eigenheim erhalten. Seine Ehefrau hat während der Ehe kein Vermögen angesammelt, während der Wert seines Unternehmens ganz erheblich angewachsen ist.
Er macht allein ein Testament, in welchem er seinen Sohn und seine Ehefrau als Erben einsetzt, dabei aber das wertvolle Unternehmen allein seinem Sohn zuwendet, während die Ehefrau nur das Eigenheim und etwas Barvermögen erhalten soll.
Paul verstirbt und Ludwig, sein Erbe, erlebt eine unangenehme Überraschung:

Seine Mutter Xantippe ist empört, wie schlecht sie weg kommt. Sie schlägt die Miterbschaft aus und verlangt den Zugewinnausgleich, weil keine Gütertrennung vereinbart war, und außerdem noch den Pflichtteil, der allerdings in diesem Fall aber nur 1/8 ausmacht. Die Zahlungsansprüche sind aber insgesamt so hoch, dass Ludwig sie nur erfüllen kann, wenn er Firmenvermögen verkauft. Das führt dann wiederum dazu, dass die erbschaftsteuerlichen Vergünstigungen für das ererbte Vermögen wegfallen und er auch noch eine erhebliche Erbschaftsteuer zahlen muss, die die Existenz des Betriebes und damit viele Arbeitsplätze in Gefahr bringt.

Jeder Unternehmer sollte daher seine Vermögensnachfolge nicht einseitig mit einem Testament regeln, sondern zu Lebzeiten Regelung schaffen, die solche Katastrophen vermeiden. Denkbar wäre hier z.B. eine lebzeitige Übertragung des Unternehmens, verbunden mit einem Nießbrauchsvorbehalt und Versorgungsansprüchen auch für die Ehefrau.

2.) Behindertenregelung


Ich komme zurück auf die Möglichkeit von Pflichtteilsverzichtsverträgen. Hans und Luise haben in diesem Fall zwei Kinder. Siegfried hat als künftigen Miterben noch einen Bruder August, der behindert ist und nach dem Tod seiner Eltern auf Sozialleistungen angewiesen wäre. Kann August auf Pflichtteile verzichten und eine Abfindung erhalten, die ihm das Sozialamt nicht wegnimmt? Wahrscheinlich Ja!

Der Bundesgerichtshof hat in einer Aufsehen erregenden Entscheidung vom 19.01.2011 - IV ZR 7/10 - eine Regelung akzeptiert, die - auf unsere Musterfamilie übersetzt - etwa wie folgt lauten würde:

August und Siegfried verzichten auf Plichtteile.

August erhält für seine Versorgung nach dem Tod beider Eltern Naturalleistungen, die nicht auf seine Sozialleistungen angerechnet werden, z.B. Konzert- und Theaterkarten, eine Dauerkarte für den FC. St. Pauli oder HSV oder anderweitige Vereine, Finanzierung einer Modellierkurses oder Malkurses oder einer musikalischen Tätigkeit, Finanzierung vom behütetem Urlaub.

Hans und Luise setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein.
Siegfried ist nach dem Tod beider Eltern als Testamentsvollstrecker verpflichtet, aus dessen Erbteil die Leistungen an seinen Bruder zu erbringen, und erhält den übrigen Nachlass.

Ähnliche Regelungen, wie sie hier für August dargestellt werden, sind schon seit vielen Jahren in Testamenten üblich, die - etwas unlogisch - Behindertentestamente genannt werden. Dabei macht man sich eine Besonderheit des Pflichtteilsrechts zu Nutze: August wird nach dem Tod seiner Eltern zum Miterben gemacht, sein Erbteil wird dabei aber durch Testamentsvollsteckung so geregelt, wie ich es oben beschrieben habe. Er kann dann den Pflichtteil nur verlangen, wenn er die Miterbschaft ausschlägt. Das Ausschlagungsrecht kann das Sozialamt nicht auf sich überleiten. Wenn aber der erste Elternteil verstirbt, wird man August wohl nicht so gern schon als Miterben haben wollen. Hier kann jetzt nach der neuen Entscheidung des BGH der Pflichtteilsverzicht - wenn August dazu in der Lage und bereit ist - helfen - vielleicht ist dies auch unter Mitwirkung eines gerichtlichen Betreuers möglich!

3). Pflichtteilsbeschränkung oder -entziehung


Wäre August total überschuldet oder trunksüchtig oder verschwendungssüchtig, hätten seine Eltern die Möglichkeit der Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht. Sie könnten ihn in Höhe seines Pflichtteils als Vorerben einsetzen und durch Testamentsvollstreckung sicherstellen, dass er nur die Erträge erhält. Den Stamm seiner Erbteile erhielten dann nach seinem Tod seine gesetzlichen Erben, also etwaige Kinder, Ehegatten oder auch sein Bruder bzw. dessen Kinder.

Bei besonders schweren Verfehlungen, z.B. solchen, die zu einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ab einem Jahr geführt haben ist eine vollständige Pflichtteilentziehung durch Testament möglich. Gerade in solchen Fällen ist eine korrekte Formulierung des Testamentes sehr schwer, dass dieser Weg immer die Mitwirkung eines Juristen erfordert.

4) Übertragung unter Lebenden

Wie schon bei der Erläuterung der Pflichtteilsergänzungsansprüche klar wurde, können lebzeitige Übertragungen Pflichtteile reduzieren.

Dazu zunächst eine Antwort auf eine mehrfach an mich gestellte Frage:
Kann z.B. Hans sein Eigenheim für einen symbolischen EURO an Luise verkaufen und damit diesen Gegenstand für Sigfried bzw. August verschwinden lassen?


Leider nein! Die Rechtsprechung sieht darin eine verschleierte Schenkung.

Wohl aber können echte Gegenleistungen bei die Berechnung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen abgezogen werden. So etwas kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sogar nachträglich vereinbart werden, wenn dies zunächst bei der Grundstücksübertragung nicht vorgesehen war. Die Gegenleistungen müssen aber auch tatsächlich erbracht werden. Es ist aber laut Bundesgerichtshof zulässig, bereits erbrachte Leistungen noch als Gegenleistungen zu deklarieren. Es gibt warnende Stimmen in der Fachliteratur, so dass solche Verträge sehr sorgfältig ausgearbeitet werden müssen.

Beispiel 10


Hans, Eigentümer eines Mehrfamilienhauses, Luise und der Sohn Siegfried suchen nach einer Lösung, damit nach dem Tod von Hans das Sozialamt keine Pflichtteilsansprüche des behinderten Sohnes August überleiten kann.

Würde Hans das Mehrfamilienhaus auf Siegfried übertragen und für sich und Luise eine Leibrente dafür einräumen lassen, würde zum Abzug des Kapitalwertes der Leibrente auch noch die oben geschilderte Abschmelzung hinzukommen. Auf der Folie habe ich die einzelnen Beträge dargestellt, die sich aus einer Nettoschenkung von 200.000 € ergeben würden. In diesem Fall könnte August nach 10 Jahren also nichts mehr verlangen!

Anders wäre die Lage aber auch hier, wenn sich Hans lediglich den Nießbrauch vorbehält, denn dann hat nach der Rechtsprechung die Frist noch nicht zu laufen begonnen, weil sich für Hans in Wirklichkeit noch nichts geändert hat. Auch wäre zweifelhaft, ob für den Nießbrauch überhaupt etwas abzuziehen ist, denn dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur möglich, wenn im Zeitpunkt des Todes der Wert des Objektes gestiegen ist, und zwar unter Berücksichtigung der allgemeinen Geldwertsänderung.
Entsprechendes gilt auch bei einer Übertragung auf die Ehefrau Luise, denn während einer Ehe läuft die 10-Jahres Frist nicht!

5) Güterstandsschaukel

Im Zusammenhang mit dem Schenkungsteuerrecht hat eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs auf eine Gestaltungsmöglichkeit hingewiesen, die nach wohl herrschender - aber von der Zivilrechtsprechung noch nicht bestätigter - Lehre auch Pflichtteilsansprüche vermeiden hilft: die so genannte Güterstandsschaukel.

Beispiel 10
Hans und Luise haben schon jung und vermögenslos geheiratet, und gar nicht auf die Verteilung ihres Vermögens geachtet. Hans hat sein Unternehmern aufgebaut und auch das Eigenheim allein auf seinen Namen angeschafft. Wenn er jetzt versterben würde und sein Vermögen 1 Mio ausmachen würde, müsste Luise an den Sohn Siegfried Pflichtteile von 0,25 Mio € begleichen. Wenn Hans ihr Wertpapiere im Wert von 0,5 Mio € überschreiben würde, würde wegen der Pflichtteilsergänzungsansprüche sich kaum etwas daran ändern. Um Pflichtteile zu vermeiden, hilft hier das eheliche Güterrecht: Hans sagt:

“Komm’ auf die Schaukel, Luise!”
Was spielt sich ab?:

1. Phase: Ausgangspunkt:
Gesetzlicher Güterstand, Vermögen von Hans: 1 Million €, Vermögen von Luise: 0!

2. Phase = 1. Schaukelbewegung:
Die Eheleute vereinbaren notariell Gütertrennung.
Luise erwirbt dadurch einen Zugewinnausgleichsanspruch von ca. 0,5 Mio €.
Unter Verrechnung dieses Anspruchs überträgt ihr Hans Wertpapiere im Wert von 0,5 Mio €. Es liegt keine Schenkung vor!
Es lassen sich daraus also keine Pflichtteilsergänzungsansprüche herleiten.
Es entsteht daher auch keine Schenkungsteuer.

3. Phase = 2. Schaukelbewegung:
Die Eheleute kehren - wegen der geringeren Pflichtteilsquote - zum gesetzlichen Güterstand zurück. In der Fachliteratur wird empfohlen, mit der Rückkehr zum gesetzlichen Güterstand ein paar Monate zu warten oder sie ganz zu unterlassen. Der Bundesfinanzhof hat für die Schenkungsteuer die Regelung zwar anerkannt. Eine Entscheidung der Zivilgerichte steht aber noch aus. Ganz allgemein möchte ich in diesem Zusammenhang davor warnen, sich darauf zu verlassen, dass die gegenwärtige herrschende Rechtsmeinung auch in Zukunft gilt. Es empfiehlt sich, in einem Abstand von mehreren Jahren die eigene Vermögensnachfolgeregelung juristisch und steuerlich überprüfen zu lassen.

6. Gesellschaftsvertrag, Abfindungsausschluss - gegenseitige Nießbrauchszuwendung

Der nachfolgende Text ist aufgrund der Entscheidung des BGH, Urteil vom 03.06.2020 - IV ZR 16/19, BeckRS 2020, 12564 neu gefasst worden, dadurch ist das nachfolgende Bild etwas überholt.

Bis vor kurzem wurde vielfach die Meinung vertreten, auch durch einen Gesellschaftsvertrag ließen sich Pflichtteile in erheblichem Maße reduzieren. Dazu:

Beispiel 11
Hans ist verstorben. Luise kauft zusammen mit ihrem etwas älteren Lebensgefährten Paul ein neues Eigenheim, und zwar durch eine von ihnen dafür gleichzeitig mit dem Kauf gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Sie vereinbaren:

Wenn Paul vor Luise verstirbt, wächst sein Anteil Luise an, ohne dass seine Erben eine Abfindung verlangen können. Im Gegenzuge wächst bei Luises Tod deren Anteil Paul an, ohne dass Luises Erben eine Abfindung verlangen können. Niemand weiß, wer zuerst verstirbt. Die jetzt wohl in Zweifel zu ziehende Rechtsmeinung besagt, es liege - wegen der etwa gleichen Lebenserwartung eigentlich ein vollentgeltliches Geschäft - ähnlich wie bei einem Versicherungsvertrag - vor und keine Schenkung. Also könnten auch keine Pflichtteilsergänzungsansprüche daraus entstehen. Der Bundesgerichtshof hatte solche dann nicht als als Umgehung des Pflichtteilsrechts angesehen, wenn es darum geht den Bestand eines Unternehmens bei Ableben eines Mitinhabers zu erhalten. Die neue oben zitierte Entscheidung stellt klar, es müssen besondere Umstände - wie z.B. der Erhalt eines Unternehmens vorliegen, damit keine Pflichtteilsergänzungsansprüche entstehen, andernfalls läge ein Schenkungswille und damit eine Schenkung vor.
In dem dort entschiedenen Fall hatten die Ehegatten, mehrere Gesellschaften bürgerlichen Rechts gebildet, sodass es wirklich nur um reine Vermögensverwaltung ging. Es stellt sich die Frage, wie der Bundesgerichtshof entscheiden würde, wenn die Vereinbarung dazu dient, der Familie das Familienheim zu erhalten. Vielleicht wäre dies ja ein anerkennenswert Zweck, insbesondere wenn damit auch das Vermögen gemeinsamen Kindern erhalten werden soll.

Dazu ist noch eine Anmerkung zu machen:
Auch wenn nach herrschender Lehre keine Schenkung vorliegt, entsteht in einem solchen Fall Schenkungsteuer, denn der Gesetzgeber hat insoweit in § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG einen besonderen Tatbestand geschaffen.

Ein ähnliches Ziel lässt sich vielleicht erreichen, wenn Paul und Luise sich jeweils für die Zeit nach dem Tod des anderen den alleinigen Nießbrauch an dem Eigenheim einräumen. Auch darin ist dann ein gegenseitiges Geschäft zu sehen. Zu den steuerlichen Fragen habe ich insoweit keine Informationen, zumindest wäre aber der Wert des zufallenden Nießbrauchs wesentlich geringer als der Wert der alten Immobilie, so dass dieses Modell zumindest die Schenkungsteuer reduzieren könnte.

Im Übrigen bleibt für Paul und Luise die Möglichkeit, die Pflichtteile in Kauf zu nehmen und sich durch Risiko-Lebensversicherungen abzusichern. Dabei ist vorsorglich darauf zu achten, dass Paul Versicherungsnehmer und gleichzeitig Bezugsberechtigter der Versicherung ist, die auf das Leben von Luise abgeschlossen wird, während die Luise Versicherungsnehmerin und Bezugsberechtigte ist für die Versicherung, die auf das Leben von Paul abgeschlossen wird. Die Versicherungen erzeugen dann weder Pflichtteile noch Erbschaftsteuer und sind geeignet, die aus dem übrigen Vermögen entstandenen Pflichtteile zu finanzieren.

7. Patchworkfamilien

In den letzten Jahrzehnten haben Patchworkfamilien zugenommen. Solche Familien haben ganz besonders auf Pflichtteile zu achten, weil Kinder nur nach den eigenen Eltern und nicht nach dem Stiefelternteil Pflichtteilsansprüche haben. Hier können gewaltige "Schieflagen" eintreten, wenn nicht Vorsorge getroffen wird. Dazu

Beispiel 12


Paul und Luise sind verheiratet. Paul hat vier Kinder, Luise ein Kind in die Ehe - ich nenne ihn wieder Siegfried - mitgebracht. Paul und Luise möchten, dass nach Ihrer beider Tod alle vier Kinder in gleicher Weise bedacht werden. Sie machen ein Berliner Testament: Wir setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein. Nach dem Tod des Längstlebenden erben alle fünf Kinder je zu 1/5. Paul verstirbt zuerst, danach Luise. Luises Kind ist mit einem Fünftel nicht einverstanden, denn sein Pflichtteil beträgt 50 %, weil die anderen Kinder mit Luise nicht verwandt sind.
Er kann noch 30 % als Pflichtteilsrest verlangen. Das Testament kann also durch Pflichtteile unterlaufen werden. Umso etwas zu vermeiden, gibt es Lösungen, die auch schon in das Testament aufgenom¬men werden können:

Luise wird nur so genannte befreite Vorerbin von Paul. Wenn sie dann nach Paul verstirbt, bezieht sich der Pflichtteil ihres Kindes nicht auf das Vermögen, das von Paul stammt, weil es durch die Vorerbschaft Pauls Nachlass bleibt. Das Kind von Luise bekommt also im Endergebnis auch nicht mehr als ein Fünftel.

Eine Vorerbschaft beinhaltet erhebliche Bindungen. Deshalb wird in solchen Fällen vielfach stattdessen ein so genanntes Herausgabevermächtnis vorgeschlagen. Die Einzelheiten würden den Rahmen dieses Vortrags sprengen. Eine Patchworkfamilie sollte Ihr Testament ohnehin nicht selbst entwerfen sondern immer juristischen Rat hinzuziehen. Noch besser ist es, dass alle Beteiligten an einer gemeinsamen Regelung mitwirken. Für Paul und Luise wäre es sehr wichtig, dass nach dem Tod des Erstversterbenden nicht zugleich Pflichtteilsansprüche erhoben werden und dadurch eine "Schieflage" entsteht. Auch hier bieten sich Pflichtteilsverzichtsverträge an.

8. Adoption


Auch eine Adoption kann vor Pflichtteilen schützen, auch dazu ein Beispiel:

Beispiel 13
Ich komme noch einmal auf die Patchworkfamilie zurück. Paul und Luise sind verheiratet. Paul hat vier Kinder, Luise den Sohn Siegfried. Luise adoptiert im Wege des so genannten "Stiefkindadoption" die Kinder von Paul. Die Kinder von Paul verzichten im Gegenzuge (gegebenenfalls unter Zustimmung des Familiengerichts) auf Pflichtteile für den Fall, dass ihr leiblicher Vater zuerst verstirbt.

Adoptionen sind insbesondere auch deshalb sehr beliebt, um Erbschaftsteuer zu sparen. Die Gerichte sprechen eine Adoption aber nur dann aus, wenn wirklich ein echtes" Eltern-Kind-Verhältnis" von Ihnen anerkannt wird. Auch hat das Gericht in diesem Zusammenhang die berechtigten Interessen der Kinder zu beachten, er so insbesondere in diesem Fall den Sohn Siegfried anzuhören. Dieser wird möglicherweise nur dann zur Zustimmung bereit sein, wenn ihm auch aus dem Vermögen seines Stiefvaters ein Erbanteil gesichert ist. Auch hier zeigt es sich, dass eine einvernehmliche Regelung meistens der bessere Weg ist.

9. Pflichtteilsstrafklausel

Viele Eheleute versuchen den Längstlebenden vor Pflichtteilen der Kinder dadurch zu schützen, dass Sie in Ihr Testament eine so genannte "Pflichtteilsstrafklausel" aufnehmen. Solche Formulierungen lauten manchmal:

Sollte eines unserer Kinder nach dem Tode des Erstversterbenden gegen den Willen des Längstlebenden den Pflichtteil verlangen, soll es nach dem Tod des Längstlebenden auch nur den Pflichtteil erhalten.

Damit sollen Kinder davon abgehalten werden, den Längstlebenden ihre Eltern bereits auf Pflichtteil in Anspruch zu nehmen.

Solche Klauseln sind in der Fachliteratur umstritten. Ich halte Sie persönlich in den meisten Fällen überflüssig. Sie können auch Probleme verursachen, wenn Grundbesitz vorhanden ist. Wie soll ein Grundbuchbeamter wissen, ob ein Pflichtteil verlangt wurde oder nicht? Auch kann unklar sein, ob der Längstlebende der Eltern in die Klausel gebunden sein soll oder trotzdem das Kind wieder einsetzen kann.

Die Geltendmachung von Pflichtteilen kann manchmal ganz sinnvoll sein, um den Kindern möglichst viel vom Erbe zu sichern, bevor der Längstlebende der Eheleute schwer pflegebedürftig wird und das Sozialamt auf das Vermögen zugreift. Hier könnte eine Pflichtteilsstrafklausel unter Umständen schaden.

Schlussbemerkung


Es gibt natürlich noch mehr Möglichkeiten, Pflichtteile zu vermeiden, z.B. ein Umzug ins Ausland, nämlich in einen Staat, wo es keine Pflichtteile gibt. Insofern möchte ich aber keine weiteren Ausführungen machen, weil solche Möglichkeiten wohl selten in Betracht kommen. Ich möchte also zum Schluss kommen.

Ich hoffe, mit diesen Ausführungen Ihre Geduld und Aufmerksamkeit nicht zu sehr strapaziert zu haben. Die Erfahrung in der erbrechtlichen Beratung zeigt, dass jeder Fall seine Besonderheiten hat und daher eigentlich immer eine individuelle Beratung erforderlich ist. Dieser Vortrag konnte Sie nicht in die Lage versetzen, selbst Ihre Vermögensnachfolge zu planen. Es wird wohl leider kaum ein Fall geben, in dem eine gute Lösung ohne Beratung möglich ist. Ich hoffe aber, Ihnen mit diesem Vortrag Anhaltspunkte gegeben zu haben, wo bei ihnen die Warnlampen aufleuchten sollen, wenn es um ihre Vermögensnachfolgeplanung geht. Sie können möglicherweise erleben, dass der von Sie aufgesuchte Notar mit einzelnen Punkten, die ich ich hier angesprochen habe, gar nicht so vertraut ist. Das ist ganz normal und spricht nicht gegen den Notar. Auch in der Rechtswissenschaft ist die Spezialisierung so weit fortgeschritten, dass nicht jeder Jurist in jedem Zweig hinreichend beraten kann. Sie sollten also sich nicht scheuen, notfalls ergänzende Beratung durch einen zweiten Juristen, der im Erbrecht spezialisiert ist, heranzuziehen.

In der Hoffnung, Ihnen damit doch ein bisschen Hilfe geleistet zu haben, will ich schließen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.