Nicht ehelich vor dem 01.07.1949 geboren - doch erbberechtigt? Entscheidungen aus Straßburg und Karlsruhe

Dieser Artikel ist wegen einer zwischenzeitlicher weiteren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs umgeschrieben worden. Es empfiehlt sich, bis ans Ende zu lesen!

Eine nichtehelich geborene Frau, deren Vater im Sommer 1998 verstorben war, versuchte einen Erbschein zu erwirken, wonach sie dessen Erbin war. Sie war vor dem 01.07.1949 geboren. Alle deutschen Gerichte lehnten ihren Antrag ab. Der deutsche Gesetzgeber hatte durch Gesetze aus dem Jahre 1969 und zuletzt 1997 die Stellung der nichtehelichen Kinder im Erbrecht verbessert und letztlich sogar eine Gleichstellung herbeigeführt, dabei jedoch diejenigen Kinder, die vor dem 01.07.1949 geboren sind, von dieser Regelung ausgenommen. Für diese Kinder sollte die alte Regelung gelten, wonach sie keinerlei Erbrecht und keinerlei Pflichtteilsrecht hatten.

Nach einem langen vergeblichen Weg durch viele Instanzen mit teilweisen Rückverweisungen, legte die Frau Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an, weil es früher bereits eine entsprechende Verfassungsbeschwerde abgewiesen hatte.

Die Frau wandte sich daraufhin an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser hat nunmehr durch Urteil vom 28.05.2009 -AZ: 3545/04 - "Brauer/ Deutschland" entschieden, dass nach Artikel 14 i.V.m. Artikel 8 der Europäischen Konvention für Menschenrechte der Ausschluss dieser Frau von der gesetzlichen Erbfolge ihres leiblichen Vaters rechtswidrig sei.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte konnte zwar die deutschen Urteile nicht aufheben, wohl aber die Bundesrepublik Deutschland auffordern, entweder eine neue gesetzliche Regelung zu schaffen oder eine Entschädigung an die betroffene Frau zu leisten.

Wie unsere Politiker als Gesetzgeber darüber entscheiden, ist derzeit (November 2009) noch offen.

Für alle bisher noch nicht von den Gerichten entschiedenen Erbfälle nichtehelicher Kinder, die vor dem 01.07.1949 geboren sind, diskutieren derzeit namhafte Juristen und insbesondere Richter darüber, wie zu entscheiden ist. Auf einer Veranstaltung der Deutschen Richterakademie im September dieses Jahres, zeigte sich, dass die Mehrheit der dort diskutierenden Richter dazu neigt, ein Erbrecht für die vor dem 01.07.1949 geborenen Kinder anzunehmen. Alle nichtehelich geborenen Deutschen, die am 01.07.1949 schon 60 Jahre alt waren, können also hoffen, dass sie doch noch ein Erbrecht nach ihrem nichtehelichen Vater anerkannt bekommen. Dies gilt für alle gegenwärtig noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Fälle und erst recht für Fälle, bei denen der Vater noch lebt. Es gilt aber auch für diejenigen Fälle, in denen ein Erbschein bereits erteilt wurde, denn ein Erbschein kann gar nicht rechtskräftig werden. Wer also bisher sein Erbrecht nicht durchsetzen konnte, kann sich immer noch an das zuständige Nachlassgericht wenden und eine Einziehung etwaiger bisher erteilter Erbscheine, die sein Erbrecht nicht berücksichtigt haben, beantragen. Er hat durchaus Chancen, dass sein Antrag Erfolg hat. Nach den inzwischen zu der Gerichtsentscheidung veröffentlichen Kommentierungen kann dabei möglicherweise eine Rolle spielen, inwiefern die bisher als Erben angesehenen Personen Vertrauensschutz genießen, insbesondere ob sie mit dem Verstorbenen eng verwandt waren oder nur entfernt, ob sie mit ihm Verbindung hatten oder nicht.

Zwischenzeitlich gibt es eine gesetzliche Regelung, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, je nachdem, ob der Erblasser vor oder ab dem 29.05.2009 verstorben ist. Es bleibt abzuwarten, ob diese Regelung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bestand haben wird. Zweifel daran sind durchaus angebracht!

Die Zweifel haben sich

b e s t ä t i g t !!!

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat durch Urteil vom 09. Februar 2017 - Aktenzeichen 29762/10- einer Frau Recht gegeben, deren Ansprüche aufgrund der neuen Stichtagsregelung wegen ihrer nichtehelichen Geburt vor dem 01.07.1949 und des Ablebens ihres Vaters vor dem 29.05.2009 abgelehnt wurden. Laut der Pressemitteilung hatte der Verstorbene die Klägerin als sein Kind anerkannt und mit ihr Kontakt. Seiner Witwe war der Sachverhalt bekannt. Es gäbe somit keine gewichtigen Gründe der Rechtssicherheit und des Vetrauensschutzes um erbrechtliche Ansprüche der Klägerin zu versagen.
Die Entscheidung führt nicht zur Unwirksamkeit der geltenden Regelung, weil auch eine Entschädigung durch die Bundesrepublik die Folge sein könnte. Es bleibt somit abzuwarten, wie die deutschen Gerichte und der Gesetzgeber reagieren.

Nunmehr hat auch der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 12. Juli 2017 anerkannt, dass in besonderen Fällen den Erwägungen des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu folgen ist, und auch bei einem vor dem 29. Mai 2005 eingetretenen Erbfall einem vor dem 1. Juli 1949 geborenen Abkömmling das Erbrecht zuzugestehen ist.